Wieder im Buchhandel: „Wo sind die Toten von Hoheneck?“

Köln/München, 21.05.2014/cw – Nach einer kurzfristigen Unterbrechung, die einem absurd wirkenden Rechtsstreit zu verdanken war, ist das letzte Buch von Ellen Thiemann „Wo sind die Toten von Hoheneck?“ wieder im Buchhandel erhältlich. Gegen die Erstausgabe des auf der Leipziger Buchmesse 2013 vorgestellten wichtigen Enthüllungsbuches der bekannten Journalistin und Autorin aus Köln hatte die ehemalige Hoheneckerin Dagmar J. geklagt (siehe Interview mit der Münchner Verlegerin und der Autorin im Hohenecker Boten
http://17juni1953.wordpress.com/2014/03/15/ellen-thiemann-gericht-verbietet-buch-auslieferung/ ). Da der Verlag (HERBIG) und Ellen Thiemann nicht mit einer nachträglichen Schwärzung des Namens einverstanden waren, blieb als Alternative nur, die vier Seiten aus dem Buch zu entfernen und durch einen anderen Beitrag zu ersetzen.

Neu: Arbeit verweigert, in Wasserzelle gesperrt

Der Verlag hat den Beitrag über Dagmar J. (Seiten 210 – 214) gegen die berührende Geschichte eines Ehepaares unter der Zwischenüberschrift „Sylvia Heinrich: Arbeit verweigert, in Wasserzelle gesperrt“ ausgetauscht. Sylvia Oschem und Volker Heinrich waren unabhängig voneinander wegen Republikflucht 1974 bzw. 1975 im Kofferraum an der Grenze nach West-Berlin verhaftet worden. Da kannten sie sich noch nicht. Während die technische Zeichnerin Sylvia im berüchtigten Frauenzuchthaus Hoheneck landete, kam der Berliner Langstreckenläufer Volker nach Cottbus.

Neu aufgelegt, ab sofort im Buchhandel
Neu aufgelegt, ab sofort im Buchhandel

Im April 1976 begegneten sich die beiden erstmalig im Freikaufbus, der politische Häftlinge aus der Abschiebehaft in Karl-Marx-Stadt gen Westen brachte. Im Aufnahmelager Gießen und danach in Berlin-Marienfelde wurden erste Kontakte geknüpft. Später trafen sie sich wieder – und aus Sympathie wurde Liebe. 1982 heirateten sie in Mainz, bauten ein Haus auf dem Land. Im Jahr 2005 gingen sie in Sylvias alte Heimat zurück und leben heute in Thüringen.

Während Sylvia wie fast alle ehemaligen Hoheneckerinnen mit posttraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen hat, leidet Volker an Leberzirrhose. Seit nunmehr 18 Jahren, in denen er sich zahlreichen Operationen unterziehen musste, wartet der ehemalige Spitzensportler auf ein Spenderorgan. Ob sein Gesundheitszustand eine Folge des staatlich verordneten Dopings in der DDR ist oder eine andere Ursache hat, vermag er nicht einzuschätzen. „Leider sind alle mich betreffenden Unterlagen aus der DHFK Leipzig und anderen Sportschulen, die ich besucht hatte, vernichtet worden.“

Fehlurteil und Prozessbetrug?

Der Autorin ist es gelungen, auf den vier neuen Seiten die Fluchtgeschichte zweier Menschen zu dokumentieren, die auch wegen ihres ungewöhnlichen Ausgangs zu Herzen geht. Zweifellos ein Gewinn für die Dokumentation. Wie aber hat die seit Jahrzehnten für Hoheneck engagierte Autorin die unerwartete Klage einer ehemaligen Hoheneckerin überstanden? „Das war eine große persönliche Enttäuschung, die ich da bewältigen musste,“ erklärt Ellen Thiemann. „Das heißt nicht, dass ich diese unwürdige Inszenierung ad acta lege oder vergessen werde. Es gibt immer die Möglichkeit, Gemeinheiten, Beleidigungen und Ungerechtigkeiten offenzulegen.“

Wie erklärt sich Ellen Thiemann, das dem Richter der vorgetäuschte „Autorisierungsvorbehalt“ sowie das angebliche „Berufsverbot“ der Klägerin neben anderen zahlreichen unwahren Angaben, nicht aufgefallen sind? Ein Fehlurteil oder Prozessbetrug? Thiemann: „Juristen beurteilen Fakten und Beweise bezüglich der Wahrheit offenbar anders als Journalisten. Der Verlag und ich hatten mit einer eindeutigen Klageabweisung gerechnet. Der wirtschaftliche Schaden für den Verlag ist hoch. Dass diese Person in meinem Buch nicht mehr vorkommt und durch zwei berührende Schicksale ersetzt werden konnte, ist unter diesen Umständen allerdings eine Bereicherung.“

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785

Veröffentlicht von redaktionhoheneckerbote

1944 im schlesischen Bad Landeck (heute Polen) geboren, in Berlin aufgewachsen. Erstes Interesse für Geschichte und Politik durch Ungarn-Aufstand 1956. 1958 Deutschlandpapier zur möglichen Lösung der "Deutschen Frage". Ab 1961 Gewaltloser Kampf gegen die (Berliner) Mauer. 1965 Verhftung durch DDR-Organe am Checkpoint Charlie nach Demo für die Freilassung politischer Gefangener in der DDR; 1966 Urteil in Ost-Berlin: 8 Jahre Zuchthaus; Oktober 1966 Freikauf. Bis 1989 weiterhin Demos an der Mauer in Berlin; am 13.08.1989 "Der Mann vom Checkpoint Charlie". Anfang der sechziger Jahre erste eigene Veröffentlichungen in Druck-Medien. Seit 2011 im Internet unter Redaktion Hohenecker Bote.

Ein Kommentar zu “Wieder im Buchhandel: „Wo sind die Toten von Hoheneck?“

  1. Von den Toten, Ermordeten, Gefolterten und Geächteten deutscher Diktaturen will man hierzulande seit 1945 und nach 1989 möglichst wenig oder nichts wissen. Schönfärberei und Vertuschung regieren in der historischen Aufarbeitungsindustrie, die oft die Täter mit der Aufarbeitung der Verbrechen beschäftigt, die Böcke zu Gärtnern macht. Es ist bequemer, Täter lukrativ zu beschäftigen, als die Opfer dieser Täter anständig und hinreichend zu entschädigen. Das betrifft allerdings Opfer jeglichen Unrechts und jeglicher Willkür in unserem Lande. Besserung ist nicht zu erwarten, weil alles nur noch schlechter werden kann, als es jetzt der Fall ist.

    Optimist ist aber, wer auch in finstersten Zeiten nicht aufgibt und das Licht am Ende eines vermeintlich unendlichen finsteren Tunnels nicht vergisst. Oft ist das Ende höllischer Finsternis näher, als es den Profiteuren teuflischer Begierden, Gelüste und Süchte lieb ist.

    Dass dieses Buch wieder zu haben ist, kann als ein Hoffnungsschimmer im höllischen Tunnel gewertet werden.

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