Suchender Bürgerrechtler: Hans Schwenke ist verstorben

Berlin, 04.07.2023/cw – Hans Schwenke (*28.02.1934 Düsseldorf –  † 19.06.2023 Berlin) ist tot. Wie der Aufarbeitungsverein Bürgerkomitee 15. Januar e.V. mitteilte, wurde dieser Tage erst durch eine Anzeige seiner Verwandten bekannt, dass Hans Schwenke zwei Tage nach dem 70. Jahrestag des 17. Juni 1953 nach langer Krankheit verstorben ist.

Hans Schwenke, bereits von seiner Krankheit gezeichnet

Schwenke war 1991 der erste Vorsitzende des Bürgerkomitee 15. Januar. e.V. Er hatte zuvor während der friedlichen Revolution an der Besetzung und der Beendigung der Arbeit der Stasi mitgewirkt. Prägend war er auch in der sog. operativen Gruppe engagiert, in der Bürgerver-treter 1990 die staatliche Stasiauflösung kontrollierten. Weiteren Kreisen bekannt wurde er im Zusammenhang mit der Aufdeckung verdeckt arbeitender Stasi-Offiziere (OibE). Nach 1990 engagierte er sich für die Opferentschädigung und war zeitweise Bundesvorsitzender des „Bundes der Stalinistisch Verfolgten“ (BSV), dessen letzter Landesverband Berlin sich (ebenfalls fast unbemerkt) im Mai diesen Jahres aufgelöst hat.

Schwenkes politischer Weg war schicksälig vorgezeichnet. Sein Vater war als Kommunistischer Widerstandskämpfer am 22. September 1944 im Gefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet worden. Seine Mutter zog mit ihm im Frühsommer 1945, nach dem Ende des II. Weltkrieges, nach Berlin. Dort trat er nach eigenen Angaben 1948 und 14-jährig der SED bei, wo er offensichtlich zunächst eine sozialistische Karriere begann. Ab 1951 arbeitete er als hauptamtlicher „Leiter Agit-Prop“ im Deutschen Sportausschuss (DS), Sportvereinigung „Medizin“.

Ausschluss aus der SED

1981 wurde er nach eigener Darstellung aus der SED infolge seiner Austrittserklärung ausgeschlossen. Allerdings schloss sich der politisch heimatlos Gewordene erst Ende 1989 der Bürgerbewegung Vereinigte Linke (VL) an, als deren Vertreter er sich an der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit beteiligte. So nahm er im September 1990 gemeinsam mit anderen Bürgerrechtlern an der Besetzung der ehemaligen Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße teil, um u.a. mittels Hungerstreik eine Freigabe der dort lagernden Akten zu erzwingen. Infolge dieser Aktivitäten wurde er Mitglied des „Bürgerkomitee 15. Januar“ und zeitweilig sogar auch Vorsitzender.

Der nunmehrige Schreiber und freie Mitarbeiter für das (einstige) SED-Zentralorgan Neues Deutschland wurde im selben Jahrals Mitglied der VL über die Landesliste von Bündnis 90/Die Grünen in die Ostberliner Stadtverordnetenversammlung gewählt und gelangte dadurch ins Berliner Abgeordnetenhaus des wiedervereinigten Berlins. Als nunmehriges MdA trat er der Parlamentarischen Gruppe Neues Forum/Bürgerbewegung bei. Die von ihm verbreitete „Überlebens-Anordnung 8/86 des Ministeriums für Staatssicherheit“, nach der zufolge alles verfügbare DDR-Staatsvermögen nach einer eventuellen Wende in die (geheime) Verwahrung von Offizieren des MfS im besonderen Einsatz (OibE) zu geben sei, wurde in einer 1992 eingebrachten Kleinen Anfrage der (damaligen) Bundestagsabgeordneten Angelika Barbe nicht bestätigt.

Der politische Weg des Verstorbenen nach dem Zusammenbruch der DDR kann durchaus als „stetige Suche nach einer klaren Orientierung“ klassifiziert werden, was für Mensche seines Schicksals durchaus nachvollziehbar war. Im Februar 1992 verließ er die Bürgerbewegung aus Protest gegen die Wahl von Rosemarie Will, einer ehemaligen strammen Parteigängerin der SED, zur stellvertretenden Schriftführerin der Enquete-Kommission „Parlaments- und Verfassungsreform“ des Abgeordnetenhauses.

Die 1949 als Rosemarie Flick geborene war bereits um 1968/69 der SED beigetreten und studierte nach dem Abitur (1968) von 1969 bis 1973 Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Rahmen eines Forschungsstipendiums war sie dort von 1973 bis 1979 wissenschaftliche Assistentin. 1976 wurde sie zur FDJ-Sekretärin gewählt, später zur Propagandafunktionärin der FDJ-Grundorganisation an der Humboldt-Universität. 1979/1980 folgte ein Studienaufenthalt in der Sowjetunion an der Universität Lwow, von 1980 bis 1983 war Flick an der Akademie der Wissenschaften der DDR im Institut für Staats- und Rechtstheorie tätig. Schwenke mußte die Wahl Flicks als nicht hinnehmbare Provokation empfunden haben (Er konnte nicht ahnen, das eine ähnliche Biografie offensichtlich wenige Jahre später kein Hindernis war, sogar Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland zu werden).

Schwenke trat als fraktionsloser Abgeordneter der linksliberalen Kleinpartei Liberale Demokraten bei und war  zeitweilig sogar deren stellvertretender Bundesvorsitzender. Auf der offenbaren Suche nach dem „richtigen Weg“ schloss er sich 1993 der FDP-Fraktion an, die er jedoch schon ein halbes Jahr später wieder verließ und bis zur Neuwahl wieder fraktionsloser Abgeordneter war. 1997 trat Hans Schwenke dann doch in die FDP ein und kandidierte schließlich sogar am 12. Februar 2000 für den nationalliberalen Flügel der Berliner FDP um das Amt des Landesvorsitzenden dieser Partei.

Der ruhelose Abgeordnete verteidigte seine politischen Wandlungen nach 1989 bei einer Diskussionsveranstaltung zum Thema Bürgerbewegung am 9. Oktober 1996 u. a. mit dem Argument, dass die Menschen bei der Umwandlung der DDR in einen besseren Staat nicht mitmachen wollten.

In diversen Opferverbänden der SED-Diktatur aktiv

Der Verstorbene war auch in diversen Opferverbänden aktiv. Im Jahr 2000 konstituierte sich in Berlin die „Vereinigung Verfolgter und Gegner des Kommunismus“, initiiert u. a. von Angelika Barbe und Hans Schwenke. Die neue Interessenvertretung war erklärter Konkurrent des bisherigen west-dominierten Dachverbands „Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft“ (UOKG). Die Vereinigung wurde jedoch überflüssig, nachdem Barbe 2001 in den Vorstand des UOKG gewählt wurde. Hans Schwenke wurde im selben Jahr Bundesvorsitzender des „Bundes der Stalinistisch Verfolgten“ (BSV). Der BSV beschloss im Mai 2009 seine Selbstauflösung (der Berliner Verband löste sich erst im Mai 2023 auf) und empfahl seinen Mitgliedern den Beitritt in die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), nachdem die Vorsitzenden bereits im Wechselspiel die gleichen  Posten  in der VOS und im BSV besetzt hatten.

Hans Schwenke war verheiratet und hatte zwei Kinder. Die Trauerfeier und Beisetzung finden am 13. Juli um 12:00 Uhr auf dem Georgen-Parochial-Friedhof 2 an der Landsberger Allee 48 statt.

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Veröffentlicht von redaktionhoheneckerbote

1944 im schlesischen Bad Landeck (heute Polen) geboren, in Berlin aufgewachsen. Erstes Interesse für Geschichte und Politik durch Ungarn-Aufstand 1956. 1958 Deutschlandpapier zur möglichen Lösung der "Deutschen Frage". Ab 1961 Gewaltloser Kampf gegen die (Berliner) Mauer. 1965 Verhftung durch DDR-Organe am Checkpoint Charlie nach Demo für die Freilassung politischer Gefangener in der DDR; 1966 Urteil in Ost-Berlin: 8 Jahre Zuchthaus; Oktober 1966 Freikauf. Bis 1989 weiterhin Demos an der Mauer in Berlin; am 13.08.1989 "Der Mann vom Checkpoint Charlie". Anfang der sechziger Jahre erste eigene Veröffentlichungen in Druck-Medien. Seit 2011 im Internet unter Redaktion Hohenecker Bote.

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